Körners Corner - schreiben über Film


27. Februar 2025

Floria, dritter Stock: Eine HELDIN und ihre Regisseurin

Kürzlich wieder in der Schweiz gewesen. Familie besucht und dabei, wie stets, Informationen über Land und Leute aus erster Hand auf den neuesten Stand gebracht. Das ist nicht immer schön, begleitet die Eidgenossen gerade aus Deutschland heraus eine so komisch idealisierte Umluft. Das liegt zum Beispiel an der Tatsache, dass die Schweizer immer wieder sonntags nicht nur mit dem Trämli raus ins Grünli fahren, sondern zuvor noch fix ihr Volksabstimmungskreuz setzen dürfen. Wehe dem, es würde auch hier geschehen, doch das ist ein anderes Thema! Großes Raunen setzt zudem gern ein, wenn man vom Endlohn erfährt, der beim Nachbarn nach getaner Arbeit am Monatsende aufs Konto kommt. Allerdings verschließt man vor dem, was in der Schweiz sehr wohl und heftig im Argen liegt, Aug und Ohr. Informationen über Land und Leute aus erster Hand helfen da sehr. Weil sich Wertigkeiten verschieben.
So war vor Tagen in der Zeitung der Erlebnisbericht eine jungen Ärztin zu lesen, die nach erfolgreich abgeschlossenem Studium eine Festanstellung in einem Kantonsspital bekommen hatte. Ihre Einarbeitungszeit in künftig verantwortungsvoller Position: ein Tag. Ihre Wochenarbeitszeit: 60 bis 70 Stunden und Überstunden sind nicht mal so viele dabei, denn schon die Arbeitsverträge schreiben wesentlich längere Arbeitszeiten fest als beispielsweise hier im Land. Das zur Ärzteschaft, im Bereich des Pflegepersonals sieht es keinesfalls besser aus. Petra Volpes HELDIN zeigt nach „Hope There’s Someone“ von Antony and the Johnsons, dem hoch emotionalen und einzigen Filmsong vor dem Abspann, zwei Schrifttafeln, die von heiklen Schieflagen künden – in der Schweiz und in Deutschland. Übrigens forderte der Kanzlerkandidat dieser zuletzt unüberraschend siegreichen, so christlichen Partei, wir sollten uns alle ein Beispiel an den Schweizern nehmen und einfach mehr arbeiten. Kein Kommentar, sonst kommt der Kamm ins „Schwillen“.
HELDIN ist der nächste starke Film am Beginn eines starken Kinojahres. Er ist Kino! Schon Petra Volpes Vorgänger DIE GÖTTLICHE ORDNUNG über Geschichten aus dem Frauenwahlrecht in der Schweiz war sehr gelungen, wenngleich er nicht annähernd diese tagesaktuelle Brisanz ausfüllen konnte. HELDIN ist trotzdem kein Diskursfilm über Zustände, kein Leinwand-Pamphlet über Missstände. Er ist mehr als nur „wichtig“ und „mit dem Finger in der Wunde“. Er ist zutiefst menschlich, wo Übermenschliches vorausgesetzt wird, ist grandios gefilmt (Judith Kaufmann an der Kamera, jüngst schon für POISON wiederholt gefeiert), erstklassig in Nebenrollen besetzt und von Hauptdarstellerin Leonie Benesch fulminant geschultert. Die Regisseurin wollte ihre tragende Figur wie eine Athletin auf einer Eiskunstlaufbahn inszenieren, obwohl sie Krankenschwester „Floria, dritter Stock“ auf Station ist. Eher, weil sie es ist …
Leonie Benesch absolvierte dafür ein passives Praktikum an einer Baseler Klinik, hatte sich ihre temporäre Schweizer Wohnung mit medizinischem Gerät vollgestopft, um permanent mit Schläuchen, Kathedern, Spritzen und Ampullen üben zu können. Alles musste sitzen. Denn es geht fast ausschließlich über ihre Floria um die Beobachtung eines Dienstes, einer Schicht, heruntergebrochen auf 90 Minuten. Es geht um Schmerzmittelgaben, vergessene Lesebrillen, ausgesprochene Wahrheiten, telefonierte Mutter-Tochter-Realität, um Trost und letzte Atemzüge, um die verzweifelte Wut des Privatpatienten und die Vorwürfe der Kassenfraktion. Es geht aber auch um Nachsicht, Milde, Zugewandtes. Das, was im Alltag aufgrund eigener Frustration oft fehlt.
Wenn die HELDIN-Regisseurin am Sa 1.3. zur Dresden-Premiere kommt, wird darüber mit dem Publikum zu sprechen sein. Bis dahin: Chapeau! Und auch von dieser Stelle aus: Dankeschön, Petra Volpe!

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