13. März 2025
Immer wieder diese Fragen! Wo warst du, als Elvis starb? Wo warst du, als der Mensch unbedingt auch noch den Mond betreten musste? Wo warst du, als die Mauer fiel? Dabei gibt es nur eine einzige wichtige Frage: Wo warst du, als 1984 mit neunjähriger Verspätung „The Köln Concert“ von Keith Jarrett in den DDR-Plattenläden verkauft wurde? Standest du in der Schlange und hast für 32,20 Mark die Amiga-Lizenz-Doppel-LP erworben, obwohl du null Ahnung hattest, wer da was spielt? Und wenn du gewusst hättest, es ist Jazz, wärst du einfach achselzuckend vorbei geschlendert und hättest dich mit der Schlange in der Jugendmode nebenan beschäftigt, die eine Lieferung mit „Boxern“ verhieß? Besser war es, man besaß die Rille. Aus Gründen. „Friday Night In San Francisco“ von Al Di Meola, John McLaughlin und Paco de Lucia gleich mit. Keine Fete ohne diese Anti-Feten-Musik! Was man noch nicht wissen konnte, war, dass die DDR – ein ausgewiesenes Jazzland – damit endgültig Teil der Welt wurde, denn diese Scheiben brachen internationale Umsatzrekorde.
Mit KÖLN 75 kommt ein angemessen knisternd geschnittenes, witziges, respektvoll kulturhistorisches, so faktenreiches wie herzhaft fiktionales Kinostück heraus, das just an diesen 24. Januar 1975 zurückspult, als der damals fast 30-jährige Keith Jarrett aus Allentown/USA dann doch noch solo in der Kölner Oper aufgetreten ist. Obwohl er Rücken hatte und schlechte Laune, die Anfahrt aus der Schweiz im engen Renault 4 der Hölle glich und der bestellte Flügel der falsche und bis knapp vorm Konzert kaputt war. Auch andere Umstände gerieten widrig genug, aber genau um Umstände dreht sich dieser Film des in den USA lebenden israelischen Regisseurs Ido Fluk, löwenanteilig basierend auf den Erinnerungen der Konzertveranstalterin Vera Brandes, damals leuchtende 18 Jahre jung. Originale Musik durfte im Kinostück nicht erklingen, Jarrett selbst und die Altvorderen seines Label ECM lehnten jede Beteiligung ab, sich wieder neu erinnernd, dass die Qualität der Jarrettschen Improvisationen damals unter sein Level geschrammt war. Könnte jedoch sein, ihnen entgleitet ein gnädiges Lächeln, sollten sie sich KÖLN 75 anschauen.
Denn Ido Fluks launiger und Laune machender Streifen ist keine Frechheit, sondern Zeitporträt verkrustet-deutscher Siebziger, weil er in Veras wundersame Familie (herrlich: Jördis Triebel mit Ulrich Tukur) und typische Generationsrangeleien blendet. Er bringt schnittige Jazzkunde, weil er mit einem erfundenen Musikjournalisten als Erzähler hantiert. Zudem offeriert er mit dem Mädchen Vera - Mala Emde macht das wirklich fein - eine rasante Durch-die Wand-Figur, die Leinwände zu elektrisieren vermag. Alexander Scheer übrigens spielt ECM-Koryphäe Manfred Eicher. Er kann das. Scheer war schon Keith Richards, David Bowie, Gerhard Gundermann und spielte mit The Whitest Boy Alive (Erlend Øye & Co.) auf den Bühnen.
PS: „The Köln Concert“ lief gerade beim Schreiben. Logisch: Wo war wohl der Autor, als …?