Eine engagierte Lehrerin will an ihrer neuen Schule alles richtig machen und schaltet sich in die schulische Untersuchung eines Diebstahls ein, was allerdings schnell zu einer Reihe von Verwerfungen führt, die wie in einer klassischen Tragödie immer schlimmer werden. Das außergewöhnliche Drama konzentriert sich ganz auf die Pädagogin, die sich an ihren moralischen Ansprüchen zu überheben droht.
Eine der vielen guten Entscheidungen des Regisseurs İlker Çatak besteht darin, dass die Hauptfigur, die junge Lehrerin Carla Nowak, keine Deutschlehrerin ist. Ebenso wenig unterrichtet sie Religion oder Geschichte. Keines jener Fächer also, die sich aufdrängen, wenn ein Regisseur etwas über gesellschaftlichen Zusammenhalt erzählen will. Die Fächer der Protagonistin sind vielmehr Mathematik und Sport. Disziplinen der Berechenbarkeit und Beweisführung einerseits, der Fairness, des Teamgeists und des Kräftemessens andererseits. Das sind beste Voraussetzungen, um das personelle Zentrum der Geschichte – Nowak – mit den inhaltlichen – was ist die Wahrheit und können wir sie kennen – kollidieren zu lassen.
Das Gymnasium mit seinen großzügigen und sauberen Räumlichkeiten ist keine Problemschule, aber auch keine abgeschottete Elitenfabrik, sondern etwas dazwischen: Bildungsstätte für Mittelschichtskinder, darunter ganz selbstverständlich auch solche mit Migrationshintergrund.
Handeln ist gefragt, als sich Diebstähle an der Schule häufen. Und dieses Handeln erweist sich als immer schwieriger, je mehr geredet wird. Denn ein Gesetz steht über allem, die „Null-Toleranz-Politik“, wie die Direktorin nicht müde wird, zu betonen. Dieses Gesetz setzt eine geradezu klassische Tragödie in Gang, indem gerade in seiner Erfüllung die Übertretung liegt, und im Vermeidenwollen das zu Vermeidende geschieht. Nowak will alles richtig machen, bekommt jedoch alsbald zu spüren, wie schnell das „Null-Toleranz“-Diktat zu Denunziantentum, Verdacht und Ausgrenzung führt, statt einen „sicheren Raum“ zu schaffen.
Start: 04.05.2023