16. Dezember 2024
Er war kaum wiederzuerkennen, doch nicht immer muss so etwas nur Bedrohliches bedeuten. In Wolfgang Beckers Fall leider schon und es galt vor allem, die Privatsphäre zu akzeptieren. Seine treue Filmfamilie hat sich daran gehalten – Respekt dafür. „Nach langer schwerer Krankheit“, heißt es nun, „und trotzdem überraschend“. Regisseur Wolfgang Becker ist am 12. Dezember in Berlin verstorben. Mit 70.
Er war nie der hagere Typ Mann, ähnelte jedoch eher einem englischen Adligen, als er im Oktober dieses Jahres mit den Dreharbeiten zu DER HELD VOM BAHNHOF FRIEDRICHSTRASSE begann und sie wenige Wochen später abschließen konnte. Die Vorlage „schoss“ Autor Maxim Leo, Becker nahm dankend an und spielte hin zu seinem Team, allen voran im „Sturm“ Leonie Benesch und Charly Hübner, in „Mittelfeld“ und „Abwehr“ Daniel Brühl, Peter Kurth, Jürgen Vogel, Christiane Paul. Sensible Kollegen werden jetzt mit dem Material umzugehen wissen.
Stets gab es große Pausen in der Filmographie des geborenen Westfalen, doch noch jedes Beckersche Werk, das dann kam, akribisch vorbereitet und betreut, musste einfach gesehen werden. Was für alle deutschvereinten Kinofreunde mit KINDERSPIELE (1992) seinen Anfang nehmen durfte, erlebte fünf Jahre später mit DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE (1997) einen dauerhaften Höhepunkt und manifestierte gleichzeitig den Urbegriff für Wolfgang Beckers typische Art einer Tragikomödie - immer reich an ungekünstelter Leichtigkeit, besehen mit scharfem Blick auf alles Menschliche. 2003 kam GOOD BYE, LENIN!, 2015 ICH UND KAMINSKI. Zwischendrin gab es kaum einen zweiten Regisseur im Land, den man so oft und sehnsüchtig danach fragte, wann denn endlich wieder ein neues Stück von ihm auf der Leinwand flackern würde.
Doch Becker war stets mehr als Regisseur. Er war profunder Lehrer an Hochschulen, beliebter Berater für Jüngere, er gründete 1994 zusammen mit Tom Tykwer, Dani Levy und Stefan Arndt X Filme und füllte den Namen der Produktionsfirma mit echtem Inhalt. X war und ist ein „Creative Pool“. Seine drei Kollegen verabschieden sich mit innigen Worten: „Du einzigartiger Freund und Weggefährte. Deine Liebe, Kraft und Kreativität wird uns unendlich fehlen.“
2015 kam Wolfgang Becker in die CORNER #40. Ein schon damals lang gehegter Wunsch ging in Erfüllung, obwohl unser „reden über Film“ erst vier Jahre jung war. Weil „reden über Film“ an diesem Abend im Capitol „reden übers Leben“ sein sollte, mit Gemütlichkeitsfaktor so hoch wie der Erkenntnisgewinn. Sieben Wochen zuvor hatte ich Wolfgang Becker schon in Berlin getroffen, um ihn einzuladen. Er nahm sehr gern an. Zum Abschied dieses wunderbaren (Film-)Menschen ein paar wenige Auszüge aus dem Interview:
Ich bin nicht der Schnellste. Das war ich nie. Ich warte lieber länger auf den für mich richtigen Stoff, als irgendeinen zu machen. Ich brauche Stoffe, bei denen mir nicht die Puste ausgeht und muss schon sehr davon überzeugt sein, sie zu realisieren.
KINDERSPIELE, DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLEund GOOD BYE, LENIN! sind historisch und zeitlich verortet, was nicht zwangsläufig heißt, dass sie alt geworden sind. KINDERSPIELE hat sicher eine gewisse Zeitlosigkeit allein durch das Sujet. DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE spielt in der Zeit nach der Wende, aber aus Westberliner Perspektive gesehen. In GOOD BYE, LENIN! bin ich vor etwa einem Jahr mal nachts im Fernsehen hineingeraten. Ich war erstaunt, wie viel ich davon schon vergessen hatte und wie viel ich andererseits neu sehen konnte. Während der Arbeit wünscht man sich das ja: Einfach mal ausknipsen und alles mit frischen Augen besehen.
Der Erfolg von GOOD BYE, LENIN! war natürlich sehr erfreulich und hat vieles in meinem Leben verändert. Ich wurde allerdings auch wie von einer Tsunami-Welle hinein gespült. Ich habe, glaube ich, weltweit 750 Interviews gegeben. Man ist dann irgendwann auserzählt. Was ich bedauere, ist, dass dies alles in einem sehr kurzen Zeitraum passierte. Vieles ist einfach an mir vorbeigerauscht. Viele Momente konnte ich nicht wahrnehmen, geschweige denn genießen. Das alles glich der Überforderung auf einem eigenen runden Geburtstag, bei dem alle guten Freunde da sind und man versucht, mit jedem Mal paar Minuten zusammen zu sein.
Eine Romanadaption bedeutet für mich, dass man den Kern und das Wesen des Buches trifft. Dass man seine Figuren nicht verrät, sondern dass sie erkennbar bleiben und man sie sogar mit den Mitteln des Films verfeinert. Die Handlung sollte nicht verfälscht, aber verändert werden können. Das heißt wegzulassen oder dazuzuschreiben. Werktreue hängt auch damit zusammen, wie der Autor der Vorlage damit umgeht. Setzt er voraus, dass absolut nichts geändert werden darf, ist es so schwierig wie langweilig. Da kann man das mit dem Film auch sein lassen, es wäre reines Recycling.
Zusammenarbeit diszipliniert Arbeitsprozesse. Ich bin allein längst nicht so gut wie als Co-Autor. Ich bin ein klassischer Sprechdenker. Ideen entstehen beim Reden. Auf der reinen Denkebene komme ich kaum zu Lösungen. Ein Diktiergerät als Kommunikationspartner reicht mir allerdings nicht aus, ich brauche kreatives Ping-Pong, allein, um sich gegenseitig zu überzeugen. Jeder Partner ist unterschiedlich, jeder muss sich also an den Rhythmus des anderen und die Art, wie er arbeitet, anpassen. Es gibt Partner, mit denen man direkter reden kann, andere sind sensibel gegenüber Kritik. Wichtig ist, dass ich mich auf den nächsten Tag mit dem Autor freue, ohne gleich sein dickster Freund zu werden. Mit mir kann man liebend gern abschweifen: Wir reden dann über Fußball, Politik, Kunst. Ich neige dazu, andere Themen aufzumachen, weil Film eben nicht alles ist.
Post für Andreas Körner