20. August 2024
Er hätte mal den Katalog eines deutschen Malers bekommen, sagt Paolo Conte. Und ein erster Satz im dort abgedruckten Gespräch mit dem Künstler hätte ihn schwer beeindruckt, ja, regelrecht erschlagen. „Alle Künste wollen Musik sein“, stand zu lesen. Es ging ums Greifbare. Oder eben ums Nicht-Greifbare an Kunst.
Der große italienische Cantautore, im Januar voll der Würde 87 Jahre alt geworden, beweist noch immer klassische Stärke. Einen Riecher hat er eh und das – fern jeder Anrüchigkeit geschrieben – nicht nur wegen seiner üppig geformten Nase. Der Signore ruht in sich. Wie sehr ihm trotzdem das Herz bis zum Hemdkragen schlug, als er im Februar 2023 in die Ehrfurcht einflößende Mailänder Scala gebeten wurde (als bislang einziger Nicht-Opernkünstler überhaupt), ist nicht zu sehen. Aber zu spüren. Anders als in der 2020 im Virenpool etwas untergegangenen, eher biografisch-porträtierenden Dokumentation PAOLO CONTE – VIA CON ME, liegt jetzt in PAOLO CONTE ALLA SCALA wirklich Musik(e) drin. Beide Filme ergänzen sich vortrefflich und erinnern im Paket an die Art, wie zuletzt im Kino mit dem Kollegen Leonard Cohen umgegangen wurde. Ehre, wem Ehre gebührt!
Der aktuelle Streifen ist also vor allem Konzertmitschnitt, ergänzt durch wenige Backstage- und Probenaufnahmen sowie solchen aus Archiven. Regisseur Giorgio Testi ist ein längst Erfahrener auf diesem Gebiet, arbeitete schon mit den Rolling Stones, The Killers, Blur, den Gorillaz und Amy Winehouse. Weitestgehend ungestört sitzt man bei ihm als Zeuge im Gestühl, klatscht nur sich selbst zu, wenn man all die Lieder neben „Via con me“ wie „Sparring Partner“, „Max“, „Come di“ oder „Madeleine“ (wieder-)erkennt, kann sich fallen lassen in Contes phänomenale Band, die eher einem Orchester gleicht mit drei akustischen Gitarren, zwei Klarinetten, Akkordeon, Oboe, Saxophon, Cello, Violine, drei Sängerinnen. Leonard Cohen ist auch hierbei nicht weit weg, wenngleich der Stil beider nach wie vor kaum Parallelen aufweist. Paolo Conte bleibt ausnahmslos mit Eigenkompositionen tief im swingenden Jazz verwurzelt, im perlenden Klavierspiel, mit sprechsingenden Passagen und zurückhaltenden Emotionen.
Sich selbst bezeichnete der Maestro immer eher als Landschaftsgestalter, einer, der immer wieder neu die Essenz gesucht hat, die Musik über den Text erhob, weil sie „eigene Bewegungen hat, die man respektieren muss“. Conte haderte vielleicht auch deshalb mit Plattenaufnahmen, weil er eher auf den Bühnen im Zusammenspiel mit den anderen er selbst sein konnte.
Humor hat er auch. Als ihm eine seiner Backgroundsängerinnen erzählt, sie würde heiraten, erwidert er trocken: „Gegen wen?“ Und dann ist da noch die Sache mit der allerersten Musik, die er als Kind gehört und die ihn so richtig bewegt hat. Nein, es war eben nicht Puccini, den er bis heute zutiefst verehrt! Es war - ein fahrender Traktor auf einem Feld. „Animalisch und heilig zugleich“, schwärmt Paolo Conto noch heute.
Übrigens: Ein nächster Kinofilm über einen nächsten prägenden italienischen Musiker unserer Tage steht schon in den Startlöchern: ZUCCHERO – SUGAR FORNACIARI (26.9.).